Zwanzig minus sieben gleich zwölf?

Zwanzig minus sieben gleich zwölf?

Zwanzig minus sieben gleich zwölf, Rechnen, Mathematik, Sachaufgaben, Rechengeschichten, Frank Haub, Dyskalkulie, Dyskalkulietraining, Schule, Grundschule, Förderschule, DVLD, AFS-Methode

Pia, 4. Schuljahr, stellte mich vor ein Rätsel. Bei der qualitativen Diagnostik auf Dyskalkulie wich sie bei der Subtraktion kontinuierlich um eins nach unten vom gewünschten Ergebnis ab. Insbesondere, wenn sie von einem glatten Zehner eine einstellige Zahl abzog, wurde die Fehlleistung deutlich:
„20-7=12, 60-4=55, 80-9=70“. 
„Das ist doch ein alter Hut!“, werden Sie vielleicht jetzt sagen, „Zählfehler um eins!“ Aber so einfach ist es nicht. Ein Zählfehler entsteht, wenn das Ergebnis durch einzelne Zählschritte ermittelt wird und dabei die Ausgangszahl als Zählschritt mitgezählt wird. Also bei 20 minus 7 durch folgende sieben Schritte: 20-19-18-17-16-15-14. Das Ergebnis weicht um eins ab, – aber nach oben, also 20-7=14. 
Bei Pia war es anders. Zum Einen war das Ergebnis nicht zu hoch, sondern zu niedrig, zum anderen kam die Antwort viel zu schnell für ein zählendes Rechnen.

Eine qualitative Diagnose, wie ich sie für gewöhnlich vor einem Symptomtraining ausführe, hat zum Ziel nicht nur das Fehlergebnis zu registrieren, sondern der Ursache auf den Grund zu gehen, um bei einem eventuell anstehenden Dyskalkulie-Symptomtraining gezielt an der Schwachstelle anzusetzen. Welche Logik steckte also hinter Pias konsequent falschem Rechnen?

Pia erläuterte mir während der Diagnose analytisch, wie sie das Ergebnis ermittelte: „Wenn da 20-7 steht, muss ich 19-7 rechnen und das ist 12.“ Aha! – Sie modifizierte also die eigentliche Aufgabe vor dem Rechnen und das kam mir doch irgendwie bekannt vor. Ich hatte da schon mal einen Jungen, der ähnlich verfuhr (Schauen sie in meinen Artikel „Ich weiß jetzt, wie ihr Erwachsenen rechnet!“). Pia kam offenbar vom zählenden Rechnen. Als sie noch schrittweise rückwärtszählend subtrahierte und zwar mit der Ausgangszahl als erstem Zählschritt, modifizierte sie die Aufgabe zunächst, da sie „gelernt“ hatte, dass bei dem dann ermittelten Resultat Zufriedenheit beim Lehrer aufkam. So rechnete sie in früherer Zeit 20-7, indem sie die Aufgabe zunächst zu 19-7 modifizierte und dann in sieben Schritten rückwärts zählte, wobei die Ausgangszahl (jetzt zu 19 modifiziert) bereits als erster Zählschritt angesehen wurde: 19-18-17-16-15-14-13. Mit dieser Kompensationsstrategie konnte sie erfolgreich die erwarteten Ergebnisse produzieren. 
Inzwischen braucht sie bei 9-7 nicht mehr zu zählen, da sie das Ergebnis „2“ auswendig weiß. Die vorangestellte Modifikation der eigentlichen Aufgabe hat sie als Schema aber so verinnerlicht, dass sie diese automatisch immer noch anwendet. So wird aus 20-7, so wie sie es schon immer gemacht hat 19-7, und da sie 9-7 inzwischen auswendig weiß, ermittelt sie 12 als Resultat, dass sie ohne weitere Überlegung hinter die Ursprungsaufgabe niederschreibt: 20-7=12 (oder 60-4=55, 80-9=70).

Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass sich eingeprägte Kompensationsstrategien, mit denen man sich in der Vergangenheit erfolgreich „gerettet“ hat, nicht einfach wieder von selbst auflösen. Als Erfolgsstrategie bleiben sie im Gedächtnis haften. Eine wesentliche Aufgabe des Dyskalkulietrainers ist es, in der Symptombehandlung solche Strategien aufzuspüren und auszumerzen. Je später die Dyskalkulie erkannt wird umso mehr haben sich solche Kompensationen etabliert und umso schwerer wird es für den Trainer. Im Grunde hilft dann nur ein Neuaufbau der Mathematik aus einem von der schulischen Didaktik differenzierten Blickwinkel. (FH)

Text: Frank Haub – Bild: Pixabay

Wir freuen uns sehr, dass Frank Haub aus Remagen sich bereit erklärt hat, öfters aus seiner Praxis zu berichten. Wir haben Herrn Haub auf der Fachtagung des EÖDL kennengelernt, wo er einen Vortrag über “Effiziente Didaktik für das Symptomtraining dyskalkuler Kinder” hielt. Herr Haub ist Diplom-Informatiker und Diplomierter Dyskalkulietrainer. Er hat eine Praxis in Remagen, wo er dyskalkule Kinder unterstützt. Frank Haub bietet auch Vorträge zum Thema Dyskalkulie an sowie Fortbildungen für Lehrkräfte. Weitere Informationen finden Sie auf seiner Internetseite: www.dys-remagen.de

Lesen Sie auch:

Schlagworte: , , , , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Archive

Top